Kurzdarstellung
Hintergrund
Sensordaten zur Prognose des Gesundheitszustandes und zur Unterstützung medizinischer Entscheidungen durch die kontinuierliche Erfassung relevanter Vitalparameter gewinnen immer stärker an Bedeutung. Die Dynamik komplexer Erkrankungen und die Wirksamkeit von therapeutischen und medizintechnischen Interventionen kann oft nur durch den Einsatz eines kontinuierlichen Monitorings unter Kombination verschiedener Vitalparameter hinreichend verfolgt werden. Im Gesundheitswesen birgt die Fusion sensorischer Vitaldaten auf einer Sensorplattform besonderes Potential für den Einsatz der Künstlichen Intelligenz (KI) zur medizinischen Entscheidungsunterstützung und zur Bestimmung von Frühwarnsignalen, die sonst durch konventionelle diagnostische Methoden verborgen bleiben. Durch den Einsatz von KI-Technologien eröffnen sich die Möglichkeiten zur Prognose und (teil-) autonomen Diagnose von Gesundheitszuständen, welche das Gesundheitswesen und das traditionelle Arzt-Patienten-Verhältnis jedoch radikal verändern können.
Die Grundlage der auf KI basierten Prognose bildet die präzise und kontinuierliche Erfassung multipler Sensordaten. Ein dafür optimal geeigneter Messpunkt am Körper ist das Ohr. Hier können moderne Hörsysteme um nichtinvasive Sensoriken erweitert werden. Dazu gehören Temperatursensoren, Inertialsensoren zur Beschleunigungs- und Bewegungsmessung, optische Sensoren zur Messung u.a. der Sauerstoffsättigung, Herzrate und Herzratenvariabilität sowie EEG-Sensoren zur Messung der Hirnaktivität. Das Ohr ermöglicht hierbei einen genauen und für Langzeitmessungen geeigneten Ort, bei dem ein mit Sensoren ausgestattetes Hörsystem ambient in den Alltag der Patienten integriert werden kann. Über ein Mensch-Maschine-Interface ist das medizinische Personal und der Patient in der Lage, mit dem System und der KI zu interagieren. Hier kommt der akustischen Interaktion und Ausnutzung der Basisfunktionalität eines Hörgerätes eine besondere Bedeutung zu.
Anwendungsfelder
Die engmaschige Erfassung und Auswertung der Sensordaten und deren Nutzung für datenbasierte Entscheidungsunterstützungssysteme sind Grundlage vielfältiger medizintechnischer und sozialer Innovationen. Entscheidungsunterstützende Systeme im Gesundheitswesen sind dabei in der Lage, mit den durch Sensoren erfassten und exponentiell zunehmenden Datenkombinationen umzugehen. Die Verknüpfung der am und im Ohr erfassten Sensordaten mit den Ansätzen der künstlichen Intelligenz hat für die Optimierung von Versorgungsprozessen in verschiedenen medizinischen Anwendungsfeldern eine hohe Bedeutung:
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Audiologie: Die sensorische Ermittlung des individuellen Stresslevels (Höranstrengung) und der Hörermüdung (Fatigue) mit Hilfe der KI-Methoden ermöglicht die Entwicklung und Vermarktung von Anwendungen durch Audiologen und Hörgerätehersteller zur automatischen Hörgeräteeinstellung, welche die Höranstrengung des Hörgeräteträgers im Alltag reduzieren und dadurch die Hörermüdung vermeiden.
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Arbeitsmedizin: Ein potenzielles Anwendungsgebiet jenseits der Audiologie liegt im Kontext der Arbeitsmedizin, z.B. zur Minimierung gesundheitlicher Risiken und zum Arbeitsschutz in sicherheitskritischen Aufgabenbereichen. Bei Vorliegen gesundheitlicher Risikofaktoren kann beispielsweise der Zustand der Ermüdung, des Stresslevels oder kardiovaskulärer Belastungen bestimmt und in der Arbeitsmedizin genutzt werden, um Maßnahmen des präventiven Arbeitsschutzes durchzuführen und Überlastungen durch das Erkennen und Kommunizieren von kritischen Situationen zu vermeiden.
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Monitoring von Risikopatienten: Ein kontinuierliches Monitoring von Risikopatienten, insbesondere im Bereich der Kardiologie zur Erkennung kardiologischer Anomalien, unterstützt das medizinische Personal in der Diagnose, der Behandlungsplanung und der Identifizierung von Risiken. Ein smartes Sensorsystem kann zudem durch entsprechend gestaltete Nutzerschnittstellen Informationen direkt für die Patienten aufbereiten und dadurch die Fähigkeit von Patienten zu selbständigem Handeln unterstützen (Patient Empowerment).
Diese drei Anwendungsfelder profitieren von den kontinuierlich steigenden Datenmengen und dem Training komplexer Algorithmen auf hoch-parallelisierbaren Hardwarearchitekturen. Da ein fertig-trainierter KI-Algorithmus keine großen Hardwareressourcen benötigt, ist es möglich, diese auf vergleichsweise wenig leistungsstarken Hardwaresystemen, wie Hörgeräten oder Mobiltelefonen, in Echtzeit und energieeffizient auszuführen. Durch diese technologischen Entwicklungen ist es möglich, KI-Algorithmen auch lokal und mobil am Menschen einzusetzen, um die Hörqualität zu verbessern, die Sekundärprävention in der Arbeitsmedizin zu unterstützen und ein kontinuierliches Gesundheitsmonitoring mit integrierter Interaktion zu etablieren.
Herausforderungen
Den Potenzialen KI-basierter Sensorsysteme stehen insbesondere im Gesundheitswesen Herausforderungen hinsichtlich der Veränderung traditioneller Versorgungs- und Arbeitsprozesse sowie hinsichtlich der Risiken im stark regulierten Gesundheitsmarkt gegenüber. Deswegen wird sich die technische Entwicklung und die Gestaltung der Referenzmodelle zur Mensch-Maschine-Interaktion an den sozialen, ethischen und rechtlichen Anforderungen ausrichten. Im Vorhaben werden die Präferenzen des medizinischen Personals und der Patienten auf Basis qualitativer und quantitativer empirischer Studien ermittelt und durch eine normative Analyse der ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen im Hinblick auf die verschiedenen Rollen, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten im soziotechnischen System ergänzt. Durch die Ausrichtung der Systementwicklung an den sozialen und ethischen Anforderungen, die Erhöhung der Entscheidungstransparenz von KI und durch geeignete Mensch-Maschine-Interaktionen wird die Akzeptanz auf Seiten der Patienten und des medizinischen Personals bereits in der Frühphase der Entwicklung sichergestellt.